„Hilfe, ich bin vor Monaten vom Pferd gestürzt und seither geht es mir immer schlechter. Ich habe am ganzen Körper immer an wechselnden Gelenke und Muskulatur massive Schmerzen. Ständig bin ich mit irgendwelchen Infekten krank. Zeitweise sind sogar Taubheitsgefühle, Kribbeln, Schwindel und Sehstörungen vorhanden. Keine Nacht schlafe ich mehr durch. Und auf dem Pferd klappt gar nichts mehr. Ich habe keine Ausdauer oder Kraft zum Reiten. Teilweise geht es mir einen Tag nach dem Reiten so schlecht, dass ich dem normalen Alltag nicht nachkommen kann. Mein Reitlehrer schimpft nur noch:
knick nicht in der Hüfte ein
schwing mehr im Becken mit
was hast Du da eigentlich für ein „Wackeldackel-Syndrom“ mit Deinem Kopf
kannst Du die Distanz zum Sprung nicht sehen
verdreh Dich nicht im Oberkörper...
So oder so ähnlich hören sich verzweifelte Patienten an, wenn sie bei mir in der Praxis anrufen.
So schlimm ist es zum Glück nicht immer. Jedoch möchte ich in diesem Blog an Hand eines Patienten-Beispiels die weitgreifenden Folgen eines Schleudertraumas/HWS-Distorsion erklären und warum es sogar Folgen auf den Reitersitz haben kann.
In diesem Blog erwartet Dich:
Hintergrundwissen: Anatomie, Physiologie, Auswirkungen auf den gesamten Körper
Um die ganze, hoch sensible und komplexe Region des Nackens und ihre Folgen bei Verletzungen verstehen zu können, benötigt man ein breites Fachwissen und viel Erfahrung. Davon werde ich Dir weiter unten einen Einblick gewähren.
Hier weise ich ausdrücklich darauf hin, dass ich keine Ärztin oder Heilpraktikerin bin und weder Diagnosen noch Heilversprechen gebe! Dies ist ein Beispiel aus der Physiotherapie und die Patienten wurden vorher vom Arzt untersucht und abgeklärt.
Nun aber erstmals zum
(hierbei wird dann auch ersichtlich, warum ein guter und breitgefächerter Befund die Grundlage ist)
Hauptproblem laut Reiterin: „Vor 6 Monaten bin ich vom Pferd gefallen. Es hatte gescheut und ist wild durch die Halle gebuckelt und ich bin dann im Dreck gelandet. Der Nacken tat mir 2 Tage weh, ich habe mich nur leicht geschont.
Allerdings haben sich seither folgende Probleme eingeschlichen:
Um eine gute Ursachenforschung zu betreiben ist es immens wichtig, den genauen Hergang, Symptome und deren Verlauf, die tägliche berufliche und private Belastung, andere Hobbys, Ernährung und beitragende Faktoren (z.B. andere Unfälle, Operationen, Erkrankungen, Allergien...) zu kennen, um mir dann ein Bild machen zu können, welche Strukturen wie und warum betroffen sein können. Denn dann kommt man an die Ursache und kann die Therapie zielgerichtet aufbauen.
Den Bereich Befund, was und welche Bausteine daran so wichtig sind, werde ich in einem anderen Blog noch genauer beleuchten.
Aus meiner weiteren Befragung ergaben sich folgende Bausteine:
Körper-Tabelle: körperliche Untersuchung
Symptome: Tagesverlauf:
lange Anlaufphase nötig, um in die Gänge zu kommen Konzentrationsschwäche
Mental, Kognitiv:
Schlafstörungen Neurologisch, eingeschränkte Parallelhandlungsfähigkeit (z.B. Hilfengebung beim Reiten), Abgeschlagenheit, Migräne, Schwindel, starke Stressempfindlichkeit
periphere Nerven:
zeitweise Kribbeln und Taubheitsgefühle
Auge:
zeitweise Sehstörungen mit Schwindel und Übelkeit
Ohr:
bei starkem Stress leichter Tinnitus, der in Ruhe wieder verschwindet
Psyche:
zeitweise Antriebslosigkeit und Ängste
Haut:
starkes Schwitzen, zeitweise Schweißausbrüche
Atmungsorgane:
Gefühl, das sich der Brustkorb beim einatmen nicht dehnen kann
Verdauungsorgane:
Unverträglichkeiten seit dem Sturz nahmen zu, sind aber auch teilweise wieder weg ,Wechsel von Blähungen, Durchfall und Verstopfung
Mund:
Beißt nachts und bei Stress auf die Zähne, Schmerzen im Kiefergelenk
Bewegungsapparat:
wechselnde Muskel- und Gelenkschmerzen; Kraftverlust; Fibromyalgie-Verdacht,
beim Reiten zeitweise Schmerzen in der Wirbelsäule, Hüfte oder Knie
Immunsystem:
häufige Infekte seit dem Sturz Allergien
Lebensgeschichte, Unfälle, Operationen: Reitet seit dem 10. Lebensjahr, Immer mal wieder vom Pferd gestürzt – keine Knochenbrüche Autounfall – stand an der Ampel und sah nach links in ein Schaufenster. Dann krachte ein Auto in sie hinein. Keine Operationen
Beitragende Faktoren: Medikamente nimmt bei Bedarf Schmerzmittel Nebenerkrankungen Fibromyalgie-Verdacht, Allergien, Unverträglichkeit
Alltag Computertätigkeit, Bildschirm steht seitlich links, Tisch zu niedrig
Wichtig ist hier zu sehen, dass das Schleudertrauma vom Sturz vor 6 Monaten mittlerweile Folgen für viele Regionen im Körper hat. Mit dem Wissen, wie viele und vor allem wie hoch sensible Strukturen sich in dieser Gegen befinden, ist dies nun auch nachvollziebar. Welche Struktur zuerst und welche in der Folge geschädigt wurden, kann man anhand des Unfallhergangs erahnen. Die Reihenfolge ist zunächst einmal zweitrangig.
Der Therapeut muss hier wissen:
welche Strukturen miteinander verbunden sind. Es nützt nichts, wenn nur ein Teil behandelt wird. Wenn ich nur die Blockade in den Gelenken versuche aufzuheben und die umliegende Muskulatur nicht wieder „weich“ mache und dann vor allem der Muskulatur nicht wieder beibringe, wie sie sich normal zu bewegen hat, wird die verhärtete Muskulatur die Gelenke wieder blockieren. Oder wenn ich nur die Muskeln „weich knete“ und wieder nicht der Muskulatur zeige, wie sie sich normal bewegt bzw. die Kraft aufbaue, habe ich keine Haltefunktion in der Halswirbelsäule und kann ganz schnell eine richtig schmerzhafte Blockade in der Halswirbelsäule bekommen und habe dann aber richtig „Spaß“ mit Schmerzen. Dieses Phänomen tritt gerne nach einer Wellness-Massage auf oder wenn nur Faszien-Training gemacht wurde und dann Muskulatur und Faszien „weich“ sind, aber keinerlei Haltefunktion mehr übernehmen können.
Welche Scherkräfte gewirkt haben können. Hieraus lässen sich die Kraft- oder Hebelwirkung und somit auch der vermutliche Schaden erkennen.
Welche Folgen daraus entstehen können bzw. welche Strukturen noch betroffen sein können.
Eine gute Kenntnis in Anatomie, Physiologie und Funktionalität ist ausschlaggebend. Denn wenn ich weiß wo eine Struktur, z.B. ein Nerv verläuft, weiß ich welche Funktion er hat und was auf seinem Weg so alles vorbei kommt.
Welche anderen Fachgebiete noch mit einbezogen werden sollten. In diesem Fall ist es der Zahnarzt, der in Zusammenarbeit mit dem Physiotherapeuten z.B. eine Schiene erarbeitet, um die Kräfte beim Beißen zu vermindern und die normale Funktion im Kieferbereich wieder herstellt. Oder auch ein Internist, der den Mineral- und Vitaminstatus kontrolliert.
Sehen wir uns anhand von einer Beteiligung des Nervus Trigeminus mögliche Folgen an:
Die Kaumuskulatur wird nicht mehr richtig angesteuert/versorgt und hat so eine Fehlfunktion entwickelt. Es könnte auch sein, dass die Reiterin beim Sturz seitlich mit dem Kinn aufkam und sich so ein Trauma auf das Kiefergelenk und den Nervus Trigeminus und Halswirbelsäule ereignet hat. In diesem Patienten-Beispiel konnte man durch den Meersseman-Test sehen, dass die Fehlfunktion des Kiefergelenkes zu einer Bewegungseinschränkung in der Hüfte/Becken kam und dieser Bereich nicht mehr frei mit der Pferdebewegung mitschwingen konnte und es zu Sitzproblemen und eingeschränkter oder falscher Hilfengebung beim Reiten kam.
Für den Therapie-Erfolg ist es ausschlaggebend, dass alle beteiligten Strukturen in das Behandlungskonzept einbezogen werden:
Funktionalität aller Gelenke, Muskulatur und Nerven in einem normalen/physiologischen Rahmen Physiotherapeutische Maßnahmen z.B. manuelle Therapie nach Maitland, Crafta, Kinesio-Tape, Kälte- oder Wärmeanwendungen, Selbstmanagement Programm, Übungsprogramm für Zuhause und für den Stall (vor, während, nach dem Reiten), Haltungsschulung in der Arbeit Einbeziehen des Reitlehrers in das Therapiekonzept. Ernährungsprogramm Mental-Coaching, lösen von mentalen Blockaden durch den Sturz, Stressabbau (Reduktion von Schlafproblemen, knirschen oder beißen bei Nacht/Stress), positives Mindset beim Reiten. Fazien-Training, Yoga, Pilates Zahnarzt, Internist, Orthopäde
Anhand dieses ausführlichen Befundes, konnten ich mit der Reiterin an der Ursache ihrer Schmerzen und Bewegungseinschränkung arbeiten. Nach der Stabilisierung der Halswirbelsäule, der Behandlung im Kieferbereich, des Selbstmanagement-Programm, das von der Reiterin in den Alltag integriert und kontinuierlich gemacht wurde, einbeziehen des Reitlehrers, Ernährungsumstellung und Schienenversorgung durch den Zahnarzt, verbesserte sich der Allgemeinzustand der Reiterin und die Sitzprobleme verschwanden.
Kein "Wackeldackel-Syndrom" mehr,
das Becken schwingt frei mit und ermöglicht so eine bessere Balance und feinere Hilfengebung
Seh- und Konzentrationsschwäche verschwanden
Beißen in der Nacht und bei Stress konnte deutlich gemindert werden
Abgeschlagenheit und Schmerzen zeigten sich nicht mehr nach dem Reiten
Schludertraumen können natürlich auch durch andere Unfälle und Sportarten entstehen und haben dann ähnliche Folgen.
Melde Dich gleich zu einem kostenlosen Impulsgespräch bei mir an, dann können wir klären, welcher Weg für Dich passen würde.
Hast Du noch Fragen zu diesem Blog oder der Physiotherapie für Reiter schreibe mir gerne eine Mail an mail@physioreiterkaiser.com
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Ich freue mich auf Dich!
Deine Bianca
PS: Möchtest Du noch mehr Hintergrundwissen, findest Du weiter unten im Anhang noch ein paar Streifzüge in die Anatomie, Physiologie und Funktionalität. Viel Spaß beim Lesen.
Solltest Du mit deinen bisherigen Übungen, Sitzschule oder Reiterfitness nur mäßig oder gar nicht weitergekommen sein lohnt sich der Weg, das „Ganze“ unter den Blick der Physiotherapie für Reiter anzugehen.
Hintergrundwissen: Anatomie, Physiologie, Auswirkungen auf den gesamten Körper
(dies ist eine vereinfachte Darstellung und soll dem Laien einen Einblick und mehr Körperverständnis gewähren. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit) Je nach Häufigkeit und Kopfhaltung beim Sturz kann es hier zu einer HWS-Instabilität kommen, die weitreichende Folgen auf den gesamten Körper haben kann. Die Bänder der ersten zwei Halswirbel werden massiv überdehnt oder haben leichte Risse. Es kann zu Einblutungen oder Schwellungen kommen. Die wiederum auf umliegendes Gewebe (Nerven, Rezeptoren, Blutgefäße etc.) drücken und so eine Funktionsstörung herbeigerufen wird.
Die Halswirbelsäule ist eine hoch sensible und sehr bewegliche Region im Körper. Zum Beispiel sind hier:
die Hirnnerven, die dann bis auf den Nervus Vagus (dieser versorgt auch die Bauchorgane) die Kopf- und Nackenregion versorgen
das Atemzentrum eine Blutversorung zum Gehirn läuft durch die Querfortsätze des ersten Halswirbels
pro Gramm Gewebe in Muskulatur, Faszien, Bändern, Gelenkkapseln und Sehnen finden sich zwei- bis fünftausend Rezeptoren, sogenannte Propriozeptoren, diese koordinieren wichtige Informationen der motorische Abläufe der Kopf-, Rumpf-, Arm-, Bein-, Kau-, Schlund-, Kehlkopf- und Zungenmuskulatur
Bei der Halswirbelsäule gibt es keine knöchernen Strukturen, die sie stabilisiert, wie z.B. bei der Brustwirbelsäule. Diese wird von 12 Paar Rippen (und nein- die Männer haben keine Rippe weniger) stabilisiert. Bei der Halswirbelsäule ist es eher so, wie wenn eine Wassermelone (Kopf) auf einem Schilfrohr (Halswirbelsäule) steckt. Die umliegende Muskulatur und Bänder sind für die Haltearbeit zuständig.
Dies bedeutet, dass, wenn die Halswirbelsäule instabil ist, es viele verschiedene Region und Funktionen im Körper treffen kann.
Dr. Bodo Kuklinski hat in zahlreichen Untersuchungen, konservativen Behandlungsregimen und 4 Versteifungsoperationen der Halswirbelsäule bei den Patienten oft Multiorgan-Symptomatiken und Multisystem-Erkrankungen gesehen und konnte die pathologische Halswirbelsäulen-Beweglichkeit als Ursache dafür erkennen.
Literaturverzeichnis: Kuklinski, Dr. Bodo:Das HWS-Trauma,Ursache, Diagnose und Therapie,5. Auflage 2011, Autrum in J. Kamphausen &Distribution GmbH, Bielefeld 2006,Verlag 978-3-89901-068-8
Bilder: Physioreiter Kaiser, Canva, bearbeitet mit Canva
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